Die Karawane der Wahrheit und der Sprint der Täuschung

Die Karawane der Wahrheit und der Sprint der Täuschung

Sophie Imhof
Willkommen im Zeitalter der unbegrenzten Meinungsfreiheit – oder besser gesagt: im goldenen Zeitalter der ungefilterten Ahnungslosigkeit. Eine Ute (sorry an alle Namens-Veteranen da draußen) braucht heute keine akademische Ausbildung mehr, um sich als Gesundheitsguru zu inszenieren. Nein, es reicht eine Handykamera, ein bisschen Selbstüberschätzung und die feste Überzeugung, dass Krebs eigentlich nur ein Säure-Basen-Problem ist. Und weil die Menschheit sich kollektiv in einer existenziellen Midlife-Crisis befindet, schauen Millionen dabei zu.
Meine persönlichen Favoriten? Die, die in einem Live-Video für ein paar virtuelle Rosen das letzte bisschen moralische Hoeschen fallen lassen. Und während die Wissenschaft noch versucht, Fakten zu kommunizieren, verkaufen Influencer – oder wie ich sie lieber nenne, „Influenza" – Marketing den ultimativen Shortcut zum gesunden Leben.

Geld schlägt Wahrheit – immer.
Denn in diesem System gibt es kein funktionierendes rechtliches Korrektiv gegen Falschinformationen. Unwissenheit ist selten ein Einzelschicksal – er ist eine Gruppendynamik. Und wo eine Ute ist, sind meist Tausende, die mitlaufen, daran glauben und im schlimmsten Fall ihre Gesundheitsentscheidungen darauf basieren.

Für meine Unternehmer-Freund:innen natürlich ein Jackpot. Man nimmt ein Produkt, das exakt diesen Irrglauben bedient, lässt es von einer vertrauenswürdig wirkenden „Ute" mit schauspielerischer Hingabe bewerben, packt einen kreativen Rabattcode drauf – und boom: Kohle. Ob das Produkt irgendeinen tatsächlichen Nutzen hat? Völlig irrelevant. Wirtschaftliches Interesse bedeutet maximalen Profit, und wirtschaftliche Interessen sind – überspitzt gesagt – der natürliche Feind wissenschaftlicher Objektivität.

Zurück zu Ute und ihren Wunderpillen.
Ihr Unternehmen ist nicht an deiner Gesundheit interessiert, sondern daran, dass du dein Geldboerserl aufmachst. Moralische Bedenken werden mit wirtschaftlicher Wichtigkeit übertüncht. Und Ute? Ute glaubt vielleicht wirklich an den Zaubertrank, den sie anpreist. Jeden Tag versorgt sie uns mit Updates, fein garniert mit allen Marketing-Techniken, die ihr das Unternehmen vorgekaut hat. Weil Luft und Liebe nicht die Miete zahlen, gibt's natürlich auch einen Rabattcode – nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern weil „Rabatt" schlichtweg „höhere Verkaufszahlen" bedeutet.

Aber dieser Wahnsinn bleibt nicht in den Filterblasen von Ute's Communities hängen – er schwappt auf unsere Screens über. Plötzlich sitzen hoch ausgebildete Expert:innen da, scrollen durch diesen Unsinn und fragen sich, ob wir vielleicht doch in einer Simulation leben.

Fakten haben keine Chance gegen Bequemlichkeit.
Ich bin mir völlig bewusst: Ein akademischer Titel ist kein Freifahrtschein zur absoluten Wahrheit. Auch unter Hochgebildeten gibt es Menschen, deren Horizont an der Ortstafel endet. Aber der Unterschied? Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit Expertise Unsinn erkennt, ist unbestreitbar höher.

Und trotzdem scheint Wissen im Jahr 2025 weniger wert zu sein als das Bedürfnis nach einfachen Antworten. Menschen wollen keine komplexen Zusammenhänge – sie wollen schnelle Lösungen. Eine Wunderpille. Eine einfache Wahrheit. Nicht nur Unwissenheit ist ein lukratives Geschäft – vor allem im Gesundheitsbereich wird Frustration zum perfekten Nährboden für fragwürdige Kaufentscheidungen. Wer verzweifelt nach Lösungen sucht, greift eher zu teuren Versprechen als zu unbequemen Wahrheiten. Die Vermarktung eines „Wundermittels" geht dabei Hand in Hand mit der radikalen Vereinfachung komplexer Erkrankungen – und für Betroffene ist das jedes Mal ein Schlag ins Gesicht. Wie frustrierend muss es sein, täglich gegen eine Krankheit anzukämpfen, nur um dann von Ute erklärt zu bekommen, dass die Lösung doch ganz einfach sei? Und genau deshalb stehen wir alle, als Gesellschaft, heute nicht nur vor einer wissenschaftlichen, sondern auch einer psychologischen und juristischen Herausforderung. Während Wissenschaft und Fakten von Marketingstrategien bis zur Unkenntlichkeit verdreht werden, hinkt die Gesetzgebung hinterher. Falschinformationen rasen im Ferrari über die digitale Überholspur, während das Rechtssystem noch gemütlich in der Pferdekutsche klappert – mit wenig Aussicht, das Tempo in absehbarer Zeit anzupassen.

Das Rechtssystem sitzt in der Pferdekutsche, während Falschinformation im Ferrari davonrast.
Denn wo genau liegt eigentlich das Problem?

  • Beim Unternehmen? Das tut, was es soll: Geld verdienen.
  • Bei Ute? Sie glaubt vermutlich wirklich, was sie sagt.
  • Bei den Kunden? Viele sind verzweifelt und haben weder die Kapazität noch das Wissen, um Fakten von Falschinformation zu unterscheiden.

Oder liegt das Problem vielleicht beim fehlenden rechtlichen Rahmen?
Ich bin überzeugt: Influencer-Marketing ist ein mächtiges Tool, das bleibt. Genau deshalb müssen wir es regulieren. Es sollte nicht länger eine Grauzone sein, Wunderpillen zu verticken. Falschinformationen müssen juristische Konsequenzen haben – nicht nur, weil sie Menschen täuschen, sondern weil sie echten Patient:innen ins Gesicht schlagen.


Ich hoffe (vielleicht naiv), dass an rechtlichen Lösungen gearbeitet wird. Dass wir eine Grenze ziehen können zwischen Meinungsfreiheit und der gezielten Verbreitung von Fehlinformationen. Egal, ob jemand einen Doktortitel hat oder frisch aus dem Reality-TV kommt – jeder, der Öffentlichkeit beeinflusst, muss Verantwortung übernehmen.
Ob Ute das gefällt? Lassen wir offen.
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